Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 27.10.2017, Aktenzeichen 12 Sa 28/17
Zusätzlicher Anspruch auf ungemindertes Arbeitsentgelt und auf Besoldung nach Beendigung der Beurlaubung
Der Sachverhalt
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hatte in zweiter Instanz einen Fall zu entscheiden, in dem – vereinfacht dargestellt – eine Beamtin eines Postnachfolgeunternehmens Mitte 2002 von ihrem (Vollzeit-)Beamtenverhältnis zunächst beurlaubt worden war, um im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses (ebenfalls in Vollzeit) bei einer Konzerntochter tätig werden zu können. Gut zehn Jahre später wurde die Beurlaubung plötzlich nicht mehr verlängert – die Beamtin klagte vor dem Verwaltungsgericht dagegen, allerdings ohne Erfolg. Ab dann erhielt sie wieder ihre beamtenrechtliche Besoldung, allerdings ohne für ihre Dienstherrin tatsächlich Dienste zu leisten. Die Konzerntochter, bei der die Klägerin als Angestellte tätig war, zahlte ab demselben Zeitpunkt keine Vergütung mehr und beschäftigte sie auch nicht, obwohl die Klägerin diese vergeblich schriftlich und später gerichtlich aufforderte, sie zu beschäftigen und so ihre Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zu erfüllen. Die Klägerin setzte die Konzerntochter damit in den sog. „Annahmeverzug“, d.h. die Konzerntochter wurde aufgefordert, die Leistung der Klägerin „anzunehmen“, sie also zu beschäftigen. Daraufhin kündigte die Konzerntochter „vorsorglich“ außerordentlich das Arbeitsverhältnis – die Klägerin er-hob dagegen mit Erfolg Kündigungsschutzklage; das Bundesarbeitsgericht entschied, dass die Kündigung durch die Konzerntochter das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst habe. Die Klägerin machte daraufhin klageweise gegenüber der Konzerntochter die ausstehende Vergütung seit Mitte 2012 geltend.
Das Problem
Zwischen den Parteien war zunächst unstreitig, dass trotz der Dienstunfähigkeit der Klägerin im Hinblick auf ihre Beamtentätigkeit diese hinsichtlich ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten voll arbeitsfähig war – eine solche Konstellation ergibt sich aus verschiedenen Gründen in der Praxis häufiger als man denkt. Diametral gegenüber standen sich die Ansichten jedoch im Hinblick auf die Vergütung aus dem Arbeitsverhältnis seit Mitte 2012: Während sich die Klägerin zur Untermauerung ihres Lohnanspruchs auf §§ 611, 615 BGB und insbesondere den Annahmeverzug berief (§ 615 Satz 1 BGB besagt: „Kommt der Dienstberechtigte [der Arbeitgeber] mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete [der Arbeit-nehmer] für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung ver-langen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein“), stützte die beklagte Konzerntochter demgegenüber ihre Ansicht, ab Mitte 2012 keinerlei Lohn mehr zahlen zu müssen, vor allem auf Satz 2 derselben Vorschrift: „Er [der Arbeitnehmer] muss sich […] den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt.“
Vereinfacht ausgedrückt war das Argument der beklagten Konzerntochter also Folgendes: Die Klägerin müsse zwar die vom Arbeitgeber nicht eingeforderte Arbeitsleistung nicht „nacharbeiten“ (Satz 1) ¬– sofern dennoch ein Anspruch auf Vergütung bestehe, müsse sie sich allerdings alle Ersparnisse und Einnahmen, die er aufgrund des „Nichtarbeitens“ hatte (oder hätte haben müssen), darauf anrechnen lassen (Satz 2). Der Arbeitgeber dürfe also den zu zahlenden Betrag kürzen, sofern und soweit der Arbeitnehmer „infolge des Unterbleibens der Dienstleistung“ erspart oder erwirbt. Fraglich war nun: Sind die besoldungsrechtlichen Bezüge, die die Klägerin seit Mitte 2012 wieder erhielt, solche „Einnahmen“ im Sinne von § 615 Satz 2 BGB, die sie „infolge des Unterbleibens der Dienstleistung […] erwirbt“? Hinter dem unscheinbaren Wort „infolge“ verbirgt sich eine wichtige Anforderung: Das Unterblei-ben der Dienstleistung muss der direkte und unmittelbare Grund dafür sein, dass der Arbeit-nehmer anderweitige Einnahmen [hier die besoldungsrechtlichen Bezüge] hat (sog. „Kausalität“). Sind also die besoldungsrechtlichen Bezüge solche Einnahmen, die sich die Klägerin auf den Lohn aus dem Arbeitsverhältnis anrechnen lassen muss mit der Konsequenz, dass es im Wesentlichen bei den besoldungsrechtlichen Bezügen bleibt und die Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis mit der Konzerntochter faktisch wegfallen? Erhält sie die besoldungsrecht-lichen Bezüge, gerade weil sie aufgrund des Annahmeverzugs im Arbeitsverhältnis zur Kon-zerntochter dort keine Dienste leistet? Oder ist das Kausalitätserfordernis aus § 615 S. 2 BGB nicht erfüllt, so dass die Klägerin tatsächlich „doppelt abkassieren“ kann?
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Das Landesarbeitsgericht gab im Wesentlich tatsächlich der Klägerin Recht: Zwar seien Be-amtenrechtliche Bezüge grundsätzlich i.S.v. § 615 Satz 2 BGB anrechenbar (Rn. 50-55 des Urteils). „Dennoch muss sich die Klägerin die […] bezogene Beamtenbesoldung nicht anrech-nen lassen. Der Annahmeverzug der Beklagten war für den Erwerb dieser Bezüge nicht kau-sal. Die Klägerin hatte unabhängig von der Abwicklung des Arbeitsverhältnisses mit der [beklagten Konzerntochter] gemäß § 3 Abs. 1 BBesG durchgehend einen Anspruch auf die Be-amtenbesoldung, ohne zum Dienst erscheinen zu müssen. Während ihrer Dienstunfähigkeit blieb sie dem Dienst als Beamtin nicht schuldhaft fern. […] Es ist nicht ersichtlich, dass die [Dienstherrin] der Klägerin ein Amt übertragen hatte, dessen Aufgaben sie hätte übernehmen können“ (Rn. 56 des Urteils). Weiter heißt es in Rn. 57: „[…] Der Erwerb der Besoldung war daher keine Folge des Annahmeverzugs. Der Besoldungsanspruch setzte nicht voraus, dass die Arbeitskraft der Klägerin in Folge des Annahmeverzugs frei wurde und anderweitig eingesetzt werden konnte. Die Klägerin hat während des Annahmeverzugs der [beklagten Konzerntochter] nicht als Beamtin gearbeitet.“ Und schließlich: „[…] Die Aktivierung des Be-amtenverhältnisses (Beendigung der Beurlaubung am 31. Mai 2012) war nicht Folge des An-nahmeverzugs der Beklagten, sondern umgekehrt der Annahmeverzug der Beklagten war Folge der Aktivierung des Beamtenverhältnisses, weil die Beklagte nach Beendigung der Be-urlaubung der Klägerin die Vertragssituation rechtlich falsch einschätzte“ (Rn. 58). Diese Überlegungen führen das Landesarbeitsgericht konsequent zur folgenden Feststellung (Rn. 59): „Die Besoldung, die die Klägerin […] erhalten hat, kann somit nicht gemäß § 615 Satz 2 BGB […] auf die Entgeltansprüche der Klägerin […] angerechnet werden. Das widerspricht nicht dem Zweck der gesetzlichen Regelungen. Die Klägerin wird dadurch nicht besser ge-stellt als sie gestanden hätte, hätte sie in diesen Zeiträumen für die Beklagte gearbeitet. Da sie dienstunfähig war und die [Dienstherrin] ihr kein Amt übertragen hatte, das sie hätte ausüben können, wäre der Klägerin der Besoldungsanspruch auch bei gleichzeitiger Arbeit für die [beklagte Konzerntochter] erhalten geblieben. Sie wäre dem Dienst als Beamtin nicht schuldhaft ferngeblieben. […] Die materiellen Ausführungen der Richter enden folgerichtig mit der schlichten Feststellung: „Die Arbeitsentgeltansprüche der Klägerin bleiben von ihrer Beamtenbesoldung unberührt (Rn. 60).“
Die Konsequenzen
Für Betroffene in einer vergleichbaren Situation dürfte sich die Konsultation und einzelfall-bezogene Beratung durch die proT-in und einen spezialisierten Rechtsanwalt lohnen: Die beklagte Konzerntochter des betroffenen Postnachfolgeunternehmens hatte gegen die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg zwar Revision zum Bundesarbeitsgericht eingelegt; am 12.11.2018 verlautete jedoch eine Pressemeldung des höchsten deutschen Fachgerichts für arbeitsrechtliche Streitigkeiten, dass die Parteien sich noch vor dem angesetzten Ver-handlungstermin außergerichtlich geeinigt haben und der mündliche Verhandlungstermin (Az.: 5 AZR 573/17) daher abgesagt wird. Das Landesarbeitsgericht hatte mehr als 150.000 EUR brutto zzgl. 5 % Zinsen über Basiszinssatz zugestanden – das wäre ein mehr als stattliches Weihnachtsgeschenk.
Einen Haken hat das Ganze allerdings dennoch: Mit § 9a Absatz 1 Satz 1 BBesG existiert eine Regelung, die gewissermaßen das Gegenstück zu § 615 Satz 2 BGB darstellt: „Haben Beamte […] Anspruch auf Besoldung für eine Zeit, in der sie nicht zur Dienstleistung verpflichtet waren, kann ein infolge der unterbliebenen Dienstleistung für diesen Zeitraum erzieltes anderes Einkommen auf die Besoldung angerechnet werden.“ Das Landesarbeitsgericht stellt dazu fest: „Nicht der Arbeitgeber, der sich vertragswidrig im Annahmeverzug befindet, wird im Falle der Doppelvergütung der dienstunfähigen Beamtin entlastet, sondern der Dienstherr, der die Beamtin während ihrer Dienstunfähigkeit alimentiert hat, obwohl sie über einen an-derweitigen Verdienst verfügte. Er kann den anderweitigen Verdienst auf die Besoldung an-rechnen“ (Rn. 59). Wie viel die Klägerin letztlich gewonnen hat bleibt offen. Es ist aber zu vermuten, dass die Klägerin für ihr Durchhaltevermögen beim Durchfechten der Instanzen belohnt wurde – einen Vergleich gehen Kläger ganz regelmäßig nur ein, wenn ihnen von der Gegenseite ein in finanzieller Hinsicht attraktives und lohnenswertes Angebot unterbreitet wird.
Potenziell Betroffene sollten in jedem Fall auch die Verjährungsfrist von grds. drei Jahren beachten, die mit Beginn des Folgejahres anläuft, und sich nicht zu lange Zeit lassen. Aktuell tritt mit Ablauf des 31.12.2018 die Verjährung für Fälle aus dem Jahr 2015 ein (sofern nicht ausnahmsweise die Verjährung hemmende Umstände vorliegen).
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Dateianhänge
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- LAG_BaWü_12Sa28_17.pdf
- Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 27.10.2017, Aktenzeichen 12 Sa 28/17